Wenn ein Roman so beliebt ist wie Robinson Crusoe, ist es vielleicht ganz natürlich, dass seine Figuren auch in anderen Medien erscheinen – etwa als Karten- oder Brettspiele und als Spielzeug, welche seit dem neunzehnten Jahrhundert ununterbrochen auf den Markt kamen. Die Robinson-Bibliothek enthält eine Reihe solcher Quartette, Brettspiele, Würfelpuzzle und Aufklapp-Bilderbücher.
Aber welche Auswirkungen hat es für die Geschichte, wenn sie durch ein anderes Medium erzählt wird? Denn selbstverständlich ist ein Spiel ein anderes Objekt als ein Roman: Es gelten andere Regeln mit anderen narrativen Darstellungsmöglichkeiten. Nehmen wir zum Beispiel das um 1960 in Deutschland produzierte Quartettset. Es besteht aus 36 Karten, die auf der einen Seite Bilder enthalten und auf der anderen Seite Crusoes Geschichte nacherzählen. Die Karten sind in Vierergruppen unterteilt, welche sich jeweils auf einen Aspekt der Geschichte konzentrieren, etwa „Reisen in seinem Reich“ oder „Die ersten Tage auf der Insel“. Durch diese episodische Gruppierung wird der Handlungsstrang der Geschichte aufgebrochen, vereinfacht und damit leichter verständlich.
Es gibt noch weitere Unterschiede zwischen dem Roman und dem Set. Während Defoes Original ausführlich von Crusoes Grübeleien und existenziellen Überlegungen erzählt, konzentriert sich das Quartett sich auf aufregende Ereignisse und die Handlung. Ein mehrsprachiges Brettspiel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts unterstreicht diesen Unterschied noch mehr.
Darin gibt es gar keinen Text, sondern nur Bilder, die verschiedene Teile von Crusoes Geschichte darstellen. Durch Würfeln versucht man, als Schnellster das innere Feld der Spirale zu erreichen. Aktives Durchqueren der Felder ermöglicht es dem Spieler, Crusoes Abenteuer nachzuspielen und sie hautnah zu erleben. Als ob sie Unberechenbarkeit des Lebens und den zufälligen Unannehmlichkeiten, mit denen Crusoe konfrontiert wird, Rechnung tragen, sind die Regeln des Spiels mit einigen bizarren Wendungen versehen. Sie machen das Spiel wahnsinnig kompliziert. Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich all diese Regeln (neben vielen anderen) während des Spiels merken:
„Landet man auf Robinson, dem Helden des Spiels, also auf den Zahlen 6, 8, 10, 12, 14, 17 usw., darf man wieder so weit vorrücken, wie man sich bereits bewegt hat; landet man aber auf einem Schiff, also auf den Zahlen 2, 5, 27, muss man auf das Feld zurück, auf dem man seinen Zug begonnen hat. Wer beim ersten Wurf eine 6 würfelt, erhält 4 Plättchen aus der Bank. Bei Nummer 13 muss man 8 Jetons bezahlen, bei Nummer 15 erhält man 12 Jetons. Sollte ein Spieler auf dem Strand mit der Nummer 7 landen, bleibt er dort liegen, bis ein anderer Spieler ihn rettet, d.h. bis dahin kann er nicht spielen.“
Wenn man inmitten des Trubels des Familienspielabends einen Moment Zeit findet, die Bilder zu betrachten, kann man deren Fokus auf die Natur entdecken: Blumen, Büsche, Ziegen, Vögel. Dieses Augenmerk auf die Natur findet sich auch in dem Würfelpuzzle (Jahr unbekannt), dessen Seiten verschiedene Bilder von Crusoe auf der Insel zeigen. Auf jeder Seite sind idyllische Naturszenen abgebildet. Die Farben sind warm und leuchtend, das Meer hat ein sanftes Blau, und die Pflanzen wirken üppig und lebendig.
So weckt das Spiel beim Betrachter ein nostalgisches Gefühl einer einfacheren, beschaulichen Vergangenheit. Dieser Effekt ist bewusst gewählt: Durch das Anzapfen nostalgischer Erinnerungen wollten die Macher des Spiels ein erwachsenes Publikum ansprechen, das dadurch zum Kauf des Produkts angeregt werden sollte. Wenn man sich den Zustand des Spielzeugs ansieht, scheint diese Strategie aufgegangen zu sein: Die Kanten der Würfel sehen vom Spielen abgenutzt aus, und die Schablonenpapiere scheinen stark beansprucht. Kurzum, das Spiel scheint heiß geliebt und oft gespielt worden zu sein.
Die Spielzeuge wurden auch so gestaltet, dass Eltern sie für ihre Kinder kaufen wollten. Eine Verkaufsstrategie bestand darin, den Müttern und Vätern zu versichern, dass das Spiel einen didaktischen Wert habe. Sehen Sie sich beispielsweise das Vorwort dieses Pop-up-Buches (1957) an.
Darin wird die Geschichte von Robinson Crusoe in vereinfachter Form erzählt, wobei immer wieder kurze Lebensweisheiten eingefügt werden, wie etwa: „Während der Sturmwind tobte und der Regen durch die Holzpaneele meines Verstecks prasselte, kam ich zu der Überzeugung, dass es notwendig sein würde, eine festere Behausung zu schaffen, die den Stürmen und den Regengüssen mit ihren schrecklichen Folgen trotzen würde. Wie so oft erkannte ich, dass sich oberflächliche und nachlässige Arbeit nicht lohnt, dass diese sogar gegen mich arbeitet und dass ich nur durch gut durchdachte und sorgfältig ausgeführte Arbeit mein Leben und meine Gesundheit erhalten kann.“
In der vereinfachten Erzählung werden komplexere Szenen oder problematische Themen wie die Sklaverei ausgeklammert oder angepasst. Dadurch, so scheint es, müssen Eltern mit ihrem Zehnjährigen kurz vor dem Schlafengehen keine ethischen Diskussionen führen. Das Pop-up-Buch enthält auch eine 3D-Darstellung von Crusoes Zuhause. Es lädt Kinder (und Erwachsenen) zum Entdecken und Spielen ein. Auf diese Weise eröffnet das Spielzeug eine ganz andere Dimension des Geschichtenerzählens. Es zapft unsere Kreativität an, denn die Worte gehen über den Text hinaus. Durch das Spielen mit Robinson können Kinder und Erwachsene die Geschichte selbst ergänzen und sie auf eine ganz neue Weise zum Leben erwecken.
Text: Jana-Maria Humbel
Übersetzung: Timothy Holden
Quellen:
- Buijnsters, Piet J., and Leontine Buijnsters-Smets. Papertoys: Speelprenten en Papieren Speelgoed in Nederland (1640–1920). Waanders, 2005.
- O’Malley, Andrew. Children’s Literature, Popular Culture, and Robinson Crusoe. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2012.