Sind Sie bereit, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen? Robinson Crusoe ist es auf jeden Fall, denn in The Farther Adventures of Robinson Crusoe (1719) bricht er erneut auf, um die Welt zu erkunden. Ein Exemplar der Fortsetzung des weltberühmten Romans befindet sich in der Robinson-Bibliothek. Es ist das älteste Buch in der Bibliothek und fast zu fragil, um es in die Hand zu nehmen und durchzublättern. Die Spuren der letzten 300 Jahre sind an diesem Schatz erkennbar.
Wenn man das Buch aufschlägt, sticht einem Defoes Vorwort ins Auge, in dem er dafür wirbt, dass die Fortsetzung „genauso unterhaltsam wie der erste“ Band ist. Weil dieser erste Band so ausgesprochen populär war, wurde er jedoch oft raubkopiert und gekürzt. Daher beklagte sich Defoe darüber, dass diese gekürzten Adaptionen „ebenso skandalös wie schurkisch und lächerlich sind, da sie den Anschein erwecken, als würden sie den Wert des Buches mindern und es all jener Überlegungen, sowohl religiöser als auch moralischer Art, berauben, die nicht nur von größter Schönheit sind, sondern auch zum unendlichen Vorteil des Lesers gerechnet werden“ („Vorwort“ zu Farther Adventures, 2–4). Doch was manche als sündhaften Diebstahl betrachteten, könnte zum Erfolg Robinson Crusoes beigetragen und die Veröffentlichung einer Fortsetzung überhaupt erst ermöglicht haben: Es machte Crusoe einem breiteren Publikum bekannt. Diese enorme Popularität, und vielleicht seine Sorge um den „religiösen und moralischen“ Wert der Crusoe-Geschichte, führten dazu, dass Defoe noch einen dritten Band mit Aufsätzen zu Themen wie „Einsamkeit“ oder „Ehrlichkeit“. Trotz seiner Ablehnung hätte sich Defoe keine Sorgen machen müssen: Während gekürzte Fassungen den zweiten Band oft ausließen, wurde er im 19. Jahrhundert in mehr als siebzig Ausgaben zusammen mit dem Ersten an eifrige Leser verkauft: Crusoe war für viktorianische Kinder ein echtes Muss. Wenn Sie heute ein Exemplar von Robinson Crusoe kaufen, wird wahrscheinlich nur der erste Teil enthalten sein. Warum ist das so, wo doch lange beide Teile so beliebt waren?
Ein Grund dafür könnte die Handlung von Farther Adventures sein. Diesmal verbringt Crusoe nur kurze Zeit damit, seine Insel und die dortige Siedlergemeinschaft zu besuchen, bevor er sich auf eine Handelsreise begibt, die ihn nach Madagaskar, Bengalen, Indonesien, Asien und Sibirien führt. Im zweiten Band ist eine Weltkarte abgedruckt, auf der Robinsons Route in einer roten gepunkteten Linie eingezeichnet ist.
Auf seinen Reisen zeigt Crusoe verschiedene, widersprüchliche Seiten von sich. Vom Herrscher über seine einsame Insel zum ausländischen Händler und kulturellen Außenseiter durchläuft er verschiedene Rollen. Auch sein Charakter verändert sich. Zunächst eine zivilisierte und aufgeklärte Figur, die grossen Interesse an eingeborenen indigenen Völkern, Sprachen und Religionen zeigt, wandelt er sich in einem voreingenommenen, fremdenfeindlichen und christlichen Fanatiker.
Zum Beispiel trifft er auf seiner Reise durch Russland auf Tataren, die ein Götzenbild anbeten. Er verachtet ihr Heidentum und heckt einen grausamen Plan aus: „Also erzählte ich die Geschichte unserer Männer auf Madagaskar, wie sie das Dorf dort niederbrannten und plünderten und Mann, Frau und Kind töteten, weil sie einen unserer Männer ermordet hatten, wie es zuvor beschrieben war, und als ich fertig war, fügte ich hinzu, dass ich dachte, wir sollten das auch mit diesem Dorf tun“ (Farther Adventures, 194). Seine Reaktion entspricht nicht im Geringsten seiner früheren Persönlichkeit, denn vergleichbare Grausamkeiten, die in Madagaskar von seinen Schiffskameraden begangen wurden, verachtete er zunächst: „Wie gerecht unsere Männer diese Handlung auch immer fanden, ich war gegen sie; und ich sagte ihnen danach immer, Gott würde die Reise vereiteln; denn ich hielt all das Blut, das sie in dieser Nacht vergossen, für Mord an ihnen“ (139).
Der Wandel vom aufgeklärten Beschützer der Eingeborenen zu ihrem gefühllosen Zerstörer bleibt im Roman unerklärt. Die Geschichte deutet jedoch an, dass seine Begegnung mit den antiken asiatischen Kulturen und deren Widerstand gegen religiöse Missionierungen oder profitable Handelsbeziehungen seinen Glauben an die europäische Überlegenheit erschüttert haben könnte. Zu einer Zeit, in der Großbritannien mit den Nachwirkungen seines empire building zu kämpfen hatte, und noch mehr während der Phase der Dekolonisierung um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, war das womöglich eine unangenehme Erkenntnis. Wollten Verleger die Leser nicht mit einem ‚bösen‘ Crusoe konfrontieren? War die Weite einer globalisierten Welt der Reisen, des Handels und der kulturellen Vielfalt zu beunruhigend? Suchten die Leser Zuflucht in der einfachen Welt der Inselepisode des ersten Teils, in der Crusoe souverän herrschte? Fast zu viele Antworten ergeben sich aus diesen einfachen Fragen. Doch die wichtigste Frage bleibt: Sind Sie bereit, wieder mit Robinson Crusoe an Bord zu gehen?
Text: Anna Strobel
Übersetzung: Timothy Holden
Quellen:
- Defoe, Daniel. The Farther Adventures of Robinson Crusoe: Being the Second and Last Part of his Life. Bd. 2 von The Novels of Daniel Defoe, hg. von W.R. Owens und P. N. Furbank. New York: Routledge, 2007.
- Free, Melissa. “Un-erasing ‘Crusoe’: ‘Farther Adventures in the Nineteenth Century.” Book History 9 (2016): 89–130.
- Howse, Dan. “Robinson Crusoe, Improvement and Intellectual Piracy in the Early Enlightenment.” In Robinson Crusoe in Asia, hg. von Steve Clark und Yukari Yoshihara. Singapur: Palgrave Macmillan, 2021, 87–108.